Anmerkung: Die Schreibweise „Held*“ und „Anti-Held*“ wurde gewählt, da es sich im Kontext des Beitrags um Archetype handelt und schließt selbstverständlich alle Geschlechter mit ein.
Februar 2005. Eine triumphale Fanfare riss mich aus meinem Dämmerschlaf. Schlagartig war ich wach. Ich saß, kaum in der Lage, meine Augen offen zu halten, vor dem flimmernden Licht des Fernsehers. Es war einer dieser magischen Momente, in denen die Oscar-Verleihung über den Bildschirm lief. Die großen Geschichten und Filme, die geehrt wurden, haben mich schon immer fasziniert. Doch es waren nicht nur die Filme, es waren die Menschen dahinter: Regisseur*innen, Schauspieler*innen, Drehbuchautor*innen, Hair & Make-Up Artists, Production Designer – all jene, die ihre Vision auf die Leinwand gebracht hatten.
Sie hatten etwas geschaffen, das für Millionen Hoffnung, Drama, Lachen und Tränen bedeutet. Doch hinter jedem Sieg stand eine eigene Geschichte, voller Höhen und Tiefen. Es waren keine perfekten, geradlinigen Wege, sondern holprige, oft schmerzhafte Reisen – voller Zweifel und Herausforderungen. Genau das macht sie zu Held*innen, nicht wahr? Denn ob auf der Leinwand oder hinter den Kulissen: Die fast ausschließliche Mehrheit der Geschichten folgt den Prinzipien der Heldenreise oder Heldinnenreise. Sie spiegeln wider, was uns Menschen ausmacht – den Wunsch, das Unmögliche zu erreichen, das Scheitern zu überstehen und schließlich über uns selbst hinauszuwachsen.
Mit diesem Gedanken widmen wir uns heute der Psychologie der Guten – den Helden* und Anti-Helden*. Wie werden sie dekliniert? Von welchen fühlen wir uns besser verstanden und welchen misstrauen wir?
Der klassische Held*
Helden* strahlen. Sie verkörpern Tugenden wie Mut, Opferbereitschaft und Gerechtigkeitssinn. Der klassische Held* folgt einer klaren moralischen Linie und stellt sich unerschütterlich dem Bösen entgegen. Seine Stärke liegt nicht nur in seiner Macht, sondern der Bereitschaft, das Richtige zu tun – auch, wenn es alles kostet. Helden* bieten uns Orientierung und Hoffnung in einer oft chaotischen Welt.
Klassische Helden* haben eine große Entwicklungsreise hinter sich. Während in der Antike Helden* wie Odysseus oder Herkules durch Götter auserwählt und übermenschlich stark waren, repräsentierten die Helden* des Mittelalters christliche Ideale: Tapferkeit, Reinheit, Glaube. In modernen Erzählungen, vor allem seit den 1950er-Jahren, wird der Held* oft als Mensch mit Schwächen gezeigt, wie etwa James Bond in JAMES BOND JAGT DR. NO. James Bond ist der Archetyp des klassischen modernen Helden*. Im genannten Beispiel verfolgt er klar sein Ziel: die globale Bedrohung durch Dr. No zu neutralisieren. Seine Stärke liegt in seinem Mut und seiner Entschlossenheit, die Welt vor dem Bösen zu schützen – selbst, wenn er dabei sein Leben riskiert. Doch im Gegensatz zu den übermenschlichen Helden* der Antike zeigt Bond auch Schwächen. Seine Abhängigkeit von Glück, sein Vertrauen in Gadgets, sein Hang zu Alkohol und flüchtigen Frauenbekanntschaften sowie sein notorisch riskanter Lebensstil sind subtile menschliche Makel, die ihn nahbar machen, ohne seinen Status als moralisch gefestigter Held* zu gefährden. Wie auch die klassischen Schurken* (siehe Psychologie der Bösen) entwickeln sich klassische Helden* innerhalb ihrer Geschichte weniger tiefgreifend, da sie schon zu Beginn der Geschichte moralisch gefestigt sind.
Ein deutsches Beispiel bietet Bibi Blocksberg aus BIBI BLOCKSBERG UND DAS GEHEIMNIS DER BLAUEN EULEN. Bibi ist eine klassische Heldin, die für Mut, Freundschaft und den Glauben an das Gute steht. Als junge Hexe setzt sie ihre Fähigkeiten nicht für persönlichen Gewinn ein, sondern um anderen zu helfen und Ungerechtigkeit zu bekämpfen. In diesem Abenteuer stellt sie sich gefährlichen Herausforderungen, bewahrt dabei ihre kindliche Unschuld und zeigt, dass wahre Stärke in Mitgefühl und Loyalität liegt.
Der Anti-Held*
Der Anti-Held* bricht mit dem Bild des strahlenden Retters. Anti-Helden* kämpfen nicht, weil sie wollen, sondern oft, weil sie müssen. Sie können fehlerhaft sein, egoistisch, moralisch fragwürdig – und genau das macht sie menschlich. Der Anti-Held* ist eine Projektion unserer eigenen Schwächen und inneren Konflikte. Er zeigt, dass nicht jede Rettung aus edlen Motiven erfolgt, sondern oft aus Notwendigkeit oder purer Selbstsucht. Seine Stärke als Figur ist seine Schwäche als Mensch. Anti-Helden* haben sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt. Während sie in den 1970er-Jahren als ambivalente Figuren wie Travis Bickle in TAXI DRIVER auftauchten, wurden sie später immer humorvoller und selbstreflexiver. Deadpool aus den gleichnamigen Filmen ist ein Paradebeispiel: Er ist ein Söldner mit fragwürdigen Methoden, der ständig die vierte Wand durchbricht und sich über Heldenklischees lustig macht. Dennoch rettet er am Ende Menschen, die ihm wichtig sind – wenn auch auf seine blutige, unorthodoxe Weise.
Der Anti-Held* fasziniert uns, weil er uns spiegelt.
Ein deutsches Beispiel ist der Protagonist Björn Diemel aus der NETFLIX-Serie ACHTSAM MORDEN, basierend auf der gleichnamigen Romanreihe. Björn ist kein typischer Held: Er tötet, lügt und manipuliert – doch er tut es, um sein Leben in den Griff zu bekommen und seine Familie zu schützen. Seine moralische Grauzone und seine eigene Interpretation und Umsetzung zweier konträrer Impulskontrollen (Gewalt und Achtsamkeit) gegenüber dem Bösen machen ihn faszinierend und sympathisch, denn sie zeigen, dass Heldenhaftigkeit nicht immer strahlend, sondern oft tief menschlich ist. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Anti-Heldin Amelie aus ANGEMESSEN ANGRY. Nach einer traumatischen Erfahrung entwickelt sie außergewöhnliche Fähigkeiten, die es ihr ermöglichen, sexuelle Übergriffe zu erkennen und die Täter zu bekämpfen. Angetrieben von Wut und dem Wunsch nach Gerechtigkeit, überschreitet sie häufig moralische Grenzen und agiert impulsiv, was sie zu einer komplexen und facettenreichen Figur macht. Ihre Handlungen sind nicht immer eindeutig richtig oder falsch, was sie als Anti-Heldin interessant und vielschichtig erscheinen lässt.
Der Anti-Held* fasziniert uns, weil er uns spiegelt. Er zeigt, dass Heldentum nicht immer eine Frage von Reinheit, sondern oft von Überleben ist – und dass auch die fehlerhaftesten unter uns in entscheidenden Momenten das Richtige tun können. Spannend ist vor allem der Konflikt zwischen Helden* und Anti-Helden* auf der gleichen Seite der Geschichte, z. B. das Gespann der strahlenden Prinzessin Leia (klassische Heldin) und Han Solo (abgeschwächter Anti-Held). Es ist der Kontrast, der eine romantische Spannung zwischen beiden aufbaut, so auch in DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK: „Ich weiß, sie mögen mich, weil ich ein Schurke bin. Es gab leider nicht genug Schurken in ihrem Leben.“
Die Heldenreise
Die Heldenreise, wie sie von Joseph Campbell in The Hero with a Thousand Faces beschrieben und später von Christopher Vogler für das Drehbuchhandwerk weiterentwickelt wurde, ist ein universelles Erzählmuster. Sie besteht aus zwölf Stufen, die den Protagonisten oder die Protagonistin von der gewohnten Welt in eine unbekannte führen, in der er oder sie Herausforderungen bestehet und schließlich transformiert zurückkehrt. Die Heldenreise ist nicht nur ein Schema, sondern eine zutiefst menschliche Erfahrung, die unsere Ängste, Wünsche und das Streben nach Wachstum widerspiegelt. Sie ist das Rückgrat zahlloser erfolgreicher Geschichten – von STAR WARS bis FINDING NEMO.
Die Heldinnenreise
Die Heldinnenreise wurde als Ergänzung zur Heldenreise entwickelt, um Erzählungen besser auf Erfahrungen und Perspektiven abzustimmen, die häufig mit weiblichen Filmfiguren assoziiert werden. Sie fokussiert stärker auf emotionale Selbstfindung und die Beziehung zu anderen – sowie die Heilung von Wunden, die durch gesellschaftliche Erwartungen, Beziehungen oder Selbstzweifel entstehen. Ein zentraler Unterschied liegt in der Struktur: Die Heldinnenreise verzichtet häufig auf den linearen Verlauf der Heldenreise. Stattdessen bewegt sie sich zyklisch, spiegelt den Prozess von Verlust, Verzweiflung, Reflexion und Erneuerung wider und betont die Rückkehr zu einem authentischen Selbst. Figuren wie Riley in ALLES STEHT KOPF oder Nora aus der Serie THE WILDS zeigen, wie die Heldinnenreise Raum für psychologische Tiefe und eine komplexere emotionale Entwicklung schafft.
Warum wollen wir Held*innenreisen erleben?
Held*innenreisen haben seit jeher eine magische Anziehungskraft auf uns. Sie bieten mehr als bloße Unterhaltung – sie berühren, stärken und inspirieren. Zudem bieten sie uns Struktur in einer oft chaotischen Welt. Das Leben ist unvorhersehbar. Eine Held*innenreise hingegen bietet eine klare Abfolge: Herausforderungen werden gemeistert, der Held oder die Heldin wächst und kehrt gestärkt zurück. Sie vermittelt das Gefühl, dass auch unsere eigenen Kämpfe einen Sinn haben könnten – dass es sich lohnt, Widrigkeiten zu überwinden, weil am Ende eine Art von Belohnung wartet. Zudem sind Held*innenreisen zutiefst emotional. Wir begleiten die Figuren auf ihrem Weg, fühlen ihre Ängste, Hoffnungen und Erfolge. Dieses Miterleben löst in uns echte körperliche Reaktionen aus: Unser Herz schlägt schneller in gefährlichen Momenten und wir jubeln, wenn die Figuren triumphieren. Diese emotionale Resonanz macht die Heldinnenreise auch persönlich bedeutungsvoll.
Ein weiterer Grund ist die Identifikation, wie auch bei den Bösewichten (siehe Psychologie der Bösen). Helden* sind Spiegel unserer eigenen Herausforderungen. Auch wenn wir keine Drachen besiegen oder Galaxien retten, sehen wir in den Figuren oft unsere eigenen Kämpfe. Helden* kämpfen mit Ängsten, Selbstzweifeln und Verlusten – und geben uns das Gefühl, dass wir mit unseren Schwächen nicht allein sind. Nach einer gelungenen Held*innenreise fühlen wir uns oft gestärkt. Sie erinnert uns daran, dass Wachstum möglich ist und wir uns durch Herausforderungen weiterentwickeln. Diese Botschaft bietet uns auch Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen. Schließlich befriedigen Held*innenreisen unser Bedürfnis nach Hoffnung. Sie zeigen, dass auch in den dunkelsten Momenten ein Lichtschein möglich ist. Dieses Versprechen – dass am Ende alles gut wird – gibt uns Kraft, unsere eigenen Geschichten weiterzuschreiben.
Warum funktioniert die Held*innenreise?
Die Held*innenreise ist psychologisch tief in unseren grundlegenden Bedürfnissen und kognitiven Mechanismen verwurzelt. Sie ist ein erzählerisches Konstrukt, das universelle menschliche Erfahrungen abbildet und uns emotional wie intellektuell anspricht. Ein zentraler psychologischer Aspekt ist die bereits beschriebene Identifikation. Laut der Theorie der Transportation (Green & Brock) tauchen wir emotional und kognitiv in Geschichten ein, wenn wir uns mit den Figuren identifizieren können. Die Held*innenreise bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte: Helden* durchleben Ängste, überwinden Hindernisse und wachsen an ihren Erfahrungen – genau wie wir es uns für uns selbst wünschen. Ein weiterer wichtiger Mechanismus ist die emotionale Verarbeitung. Die Held*innenreise erlaubt uns, komplexe Gefühle wie Angst, Verlust oder Unsicherheit in einem sicheren Rahmen zu erleben. Diese Katharsis, wie sie Aristoteles beschrieb, ist nicht nur befreiend, sondern auch therapeutisch. Indem wir die Transformation des Helden* miterleben, verarbeiten wir unsere eigenen emotionalen Konflikte und finden neue Perspektiven für unsere Herausforderungen.
Darüber hinaus basiert die Held*innenreise auf Archetypen, die tief in unserem kollektiven Unterbewusstsein verankert sind und ein Gefühl von Vertrautheit und Resonanz erzeugen. Sie machen Geschichten gleichermaßen verständlicher als auch emotional ansprechender, weil sie auf Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Zugehörigkeit und Selbstverwirklichung abzielen. Die Held*innenreise bietet uns außerdem eine Möglichkeit zur Selbstreflexion. Wenn Helden* ihre Werte und Überzeugungen hinterfragen, regt uns das an, dasselbe zu tun. Warum handeln wir, wie wir handeln? Welche Werte treiben uns an? Diese Reflexion fördert unser Verständnis von uns selbst und unserer Rolle in der Welt. Nicht zuletzt erfüllt die Held*innenreise unser Bedürfnis nach Bedeutung. Laut der Meaning-Making-Theorie (Park & Folkman) suchen Menschen nach Mustern, die ihrem Leben Sinn verleihen. Die Held*innenreise zeigt, dass selbst schwierige Zeiten Teil eines größeren Ganzen sein können.
Zudem funktioniert die Held*innenreise nicht nur auf psychologischer, sondern auch auf physiologischer Ebene – sie beeinflusst direkt unseren Hormonhaushalt und aktiviert körperliche Reaktionen, die uns tiefer in die Geschichte hineinziehen. Studien zeigen, dass unser Gehirn zwischen Realität und Fiktion erstaunlich wenig unterscheidet. Wenn wir uns intensiv mit einer Figur identifizieren, simuliert unser Gehirn ihre Erfahrungen, als würden wir sie selbst durchleben. Ein zentraler Effekt ist die Freisetzung von Oxytocin, auch als „Bindungshormon“ oder neudeutsch “Storytellinghormon” bekannt. Paul Zak, ein führender Neuroökonom, hat gezeigt, dass Geschichten mit emotionaler Tiefe und starkem Konflikt die Oxytocin-Produktion erhöhen. Das Hormon verstärkt unser Mitgefühl und fördert soziale Bindungen. Wenn der Held oder die Heldin leidet, fühlen wir uns emotional verbunden und fiebern mit, weil unser Gehirn durch die Freisetzung von Oxytocin eine echte Bindung aufbaut.
Darüber hinaus werden in spannenden Momenten der Held*innenreise Stresshormone wie Adrenalin freigesetzt. Diese sorgen dafür, dass wir uns stärker auf die Geschichte konzentrieren und Spannung erleben, als wäre sie real. Gleichzeitig können Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet werden, wenn Held*innen einen Triumph erleben, sodass wir uns nach einer gelungenen Held*innenreise emotional gestärkt fühlen. Ein weiterer physiologischer Effekt betrifft die Aktivierung des Spiegelneuronen-Systems. Diese speziellen Nervenzellen im Gehirn ermöglichen es uns, Emotionen und Handlungen von Figuren nachzuempfinden, als würden wir selbst in ihrer Haut stecken. Dieses neuronale „Miterleben“ macht die Reise von Held*innen zu unserer eigenen.
Die Kombination aus psychologischen Archetypen, hormonellen Veränderungen und der Aktivierung unseres neuronalen Netzwerks erklärt, warum die Held*innenreise so kraftvoll wirkt: Sie berührt uns auf allen Ebenen – emotional, kognitiv und körperlich.
Warum sehen wir immer mehr Anti-Helden*?
Wenn nun die Held*innenreise ein zeitloses Schema ist und wir uns so sehr nach dem “Guten” sehnen, warum bevorzugen wir heute oft Anti-Helden* mit all ihren Makeln und Kanten als Hauptfiguren unserer Geschichten? Ein Grund ist die Authentizität. Perfekte Helden wie Superman wirken heute oft unrealistisch. In einer Welt, die immer komplexer und widersprüchlicher wird, suchen wir nach Charakteren, die ebenso zwiespältig sind wie wir selbst. Anti-Helden* kämpfen nicht nur mit äußeren Feinden, sondern vor allem mit sich selbst – und genau das macht sie glaubwürdig und nahbar. Anti-Helden* geben uns auch die Möglichkeit, unsere eigenen Schwächen zu akzeptieren. Wir sehen, wie sie Fehler machen, scheitern und trotzdem weitermachen. Das macht sie nicht nur menschlich, sondern auch inspirierend. Sie zeigen uns, dass Heldentum nicht bedeutet, perfekt zu sein, sondern trotz der eigenen Fehler das Richtige zu tun. Es geht nicht um die Abwesenheit von Fehltritten, sondern darum, welche Lehren wir daraus ziehen und wie wir uns verändern.
Psychologisch gesehen berühren Anti-Helden* also ein zutiefst menschliches Bedürfnis: die Sehnsucht nach Vergebung und der Glaube an Transformation.
Eine entscheidende Lektion, die uns Anti-Helden* lehren, ist, dass uns unsere Vergangenheit nicht zwingend definiert. In Geschichten wie FOR ALL MANKIND oder THE MORNING SHOW sehen wir Figuren, die in ihrem Leben schwere Fehler gemacht haben. Aber die Möglichkeit zur Veränderung bleibt – für sie und für uns. Diese Charaktere erinnern uns daran, dass jeder Mensch die Fähigkeit besitzt, neu anzufangen. Es kommt darauf an, welche Entscheidungen wir heute und in Zukunft treffen, nicht darauf, wie oft wir in der Vergangenheit gescheitert sind. Dieser Aspekt ist besonders mächtig, weil er Hoffnung gibt. Selbst Figuren, die moralisch tief gefallen sind, wie Tony Stark aus IRON MAN oder Severus Snape aus HARRY POTTER, können durch ihre zukünftigen Taten eine Form der Vergebung und Erlösung finden. Tony beginnt als egoistischer Waffenfabrikant, doch seine Opferbereitschaft und sein Einsatz für das Wohl (Spoiler: bis hin zu seinem Märtyrer-Tod) machen ihn zum Helden. Snape, dessen Handlungen oft von Eigeninteresse und Groll geprägt waren, wird am Ende als der stille Retter enthüllt, der sein Leben opfert, um das Gute zu schützen.
Psychologisch gesehen berühren Anti-Helden* also ein zutiefst menschliches Bedürfnis: die Sehnsucht nach Vergebung und der Glaube an Transformation. Laut der Self-Determination Theory (Deci & Ryan) suchen Menschen nach Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit. Anti-Helden* spiegeln diesen inneren Konflikt wider: Sie streben danach, Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen, wollen kompetent handeln und sind oft getrieben von dem Wunsch, sich in einer Welt, die sie ausgrenzt, einen Platz zu sichern. Ihre Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren und zu verändern, zeigt uns, dass es nie zu spät ist, etwas zu verbessern. Ein weiterer Grund für die Faszination von Anti-Helden* ist ihre moralische Ambivalenz. In einer Zeit, in der die Welt voller Grautöne ist, fühlen wir uns zu Figuren hingezogen, die diese Komplexität widerspiegeln. Sie zwingen uns, uns mit schwierigen Fragen auseinanderzusetzen: Was bedeutet es, „gut“ zu sein? Wann rechtfertigt das Ziel die Mittel? Und wie viel Vergebung verdient jemand, der Unrecht getan hat? Schließlich bieten Anti-Helden* oft einen anderen Blickwinkel. Sie hinterfragen die klassischen Werte und Normen von Heldentum und zwingen uns, unser eigenes Weltbild zu überdenken. Warum glauben wir, dass bestimmte Taten „gut“ oder „böse“ sind? Was macht einen Menschen wirklich zum Helden oder zur Heldin? Diese Fragen erweitern unsere Perspektive und erlauben es uns, komplexere Geschichten zu erleben.
Summa summarum zeigen uns Anti-Helden*, dass nichts und niemand in Stein gemeißelt ist. Sie verdeutlichen, dass wir alle Fehler machen – aber auch, dass wir uns entscheiden können, diese Fehler zu überwinden. Sie geben uns die Chance, Mitgefühl zu üben und an Erlösung zu glauben, sowohl für fiktive Charaktere als auch für uns selbst. Diese Figuren halten uns den Spiegel vor: Es ist nicht unsere Vergangenheit, die uns definiert, sondern das, was wir aus ihr machen. Und vielleicht ist genau das der Grund, warum wir Anti-Helden* so lieben – sie geben uns Hoffnung, dass selbst in uns das Potenzial steckt, ein kleines bisschen heldenhaft zu sein.
Helden* und Anti-Helden* – Ein faszinierendes Zusammenspiel aus Tradition und Innovation
Helden* und Anti-Helden* sind Spiegel unserer eigenen Kämpfe und Hoffnungen. Während erstere uns daran erinnern, dass wir wachsen und triumphieren können, zeigen uns letztere, dass wir auch in unseren Fehlern und Schwächen menschlich bleiben dürfen. Gemeinsam entfalten sie ein narratives Spannungsfeld, das uns tief berührt – und uns gleichzeitig vor die Frage stellt, welche Entscheidungen wir selbst in einer Welt voller Grautöne treffen würden.
Die Entwicklung beider Archetypen ist ein faszinierendes Zusammenspiel aus Tradition und Innovation. Helden* vermitteln uns Optimismus und Orientierung, während Anti-Helden* uns mit ihrer Komplexität und Ambivalenz herausfordern. Doch eines ist sicher: Ob strahlender Held* oder widersprüchlicher Anti-Held*, am Ende bleibt ihre Geschichte unvollständig ohne die Narben der Vergangenheit, die sie geprägt haben.
Teaser Teil 3
Im nächsten Teil BACKSTORY UND EMOTIONALE VERWUNDUNG” begeben wir uns genau dorthin: zurück zu den Narben, die Helden*, Anti-Helden* und auch Anti-Schurken* zu dem gemacht haben, was sie sind.
Wir richten den Fokus auf die tiefenpsychologischen Grundlagen der Charakterentwicklung: die Backstory. Jene Schlüsselmomente der Vergangenheit – seien es traumatische Erlebnisse, emotionale Verwundungen oder prägende Verluste – formen die psychischen Mechanismen, die später das Verhalten bestimmen.
Wir beleuchten, wie diese Mechanismen genutzt werden können, um Figuren glaubwürdig und facettenreich zu gestalten. Wie wird aus einem Verlust in der Vergangenheit ein Handlungsmotiv für die Zukunft? Welche Rolle spielt Impulskontrolle – oder deren Fehlen – in der Entwicklung von Helden und Schurken? Und wie können wir diese Dynamiken nutzen, um Figuren mit emotionaler Tiefe zu erschaffen, die uns fesseln und berühren?