Vielleicht habe ich jetzt schon einige Lesende verloren. Von einer sterbenden Welt zu schreiben, ein größerer „Runterzieher“ ist wohl kaum möglich. Aber die Wahrheit ist: Bis 2030 müssen wir unsere Emissionen weltweit etwa halbieren, sonst drohen Szenarien, die wir aus Dystopien kennen. Szenarien, bei denen das schreckliche Ahr-Hochwasser 2021 mit 134 Toten rückwirkend – im Vokabular der Dramaturgie – wie ein schwaches Planting erscheinen wird, während sich die Hauptpersonen noch dem Ruf zum Abenteuer verweigert haben. Statt zu sinken, steigen die Emissionen sogar. Wie viele Projekte werden wir bis 2030 noch schreiben, beraten oder produzieren?
Na, na, so schlimm wird es schon nicht kommen, glauben immer noch viele. Schließlich haben wir das mit dem Ozonloch und dem Waldsterben auch hinbekommen. Der Unterschied: Dort wurden wirksame Maßnahmen eingesetzt. Daran hapert es beim Kampf gegen die Erderhitzung bislang leider immer noch. Und so liest sich der sehr sachliche Klimabericht des transnationalen IPCC beängstigend. Es ist eine Überwindung, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Es ist so groß und komplex – die gruseligsten Horrorfilme sind Kinderfasching dagegen. Aber wir müssen uns alle damit auseinandersetzen. Von der Flutkatastrophe 2022 in Pakistan waren bspw. unvorstellbare 33 Millionen Menschen betroffen. Also grob überschlagen, damit wir uns das besser vorstellen und näher an uns ranholen, so viele Menschen, wie in Österreich, der Schweiz und Bayern zusammen leben.
Nachdem er bereits als Captain Kirk die unendlichen Weiten erforscht hatte, flog William Shatner 2021 tatsächlich ins Weltall. Dabei empfand er „überwältigende Traurigkeit“: „Meine Reise in den Weltraum sollte eine Feier sein; stattdessen fühlte sie sich wie eine Beerdigung an.“ Diese tiefe Ergriffenheit hatten schon andere Raumfahrende vor ihm angesichts der „blauen Murmel“, verloren in der Unendlichkeit und Kälte des Weltalls. Leider können wir uns nicht leisten, weder finanziell noch vom CO2-Ausstoß her, dass alle Menschen diese Erfahrung selbst machen. Auch deshalb müssen wir uns mit Geschichten behelfen.
Wir sehen Videos von Eisbären, die in menschlichen Abfällen nach Nahrung suchen. Aber das ist alles weit weg, betrifft scheinbar nur Menschen im globalen Süden oder exotische Tiere. Weswegen das Bild vom Eisbär auf der Scholle treibend zwar ikonografisch ist, als Metapher für den Klimawandel jedoch nur bedingt geeignet. Es bewegt die Menschen eben nicht zum Handeln. Solche Nachrichten ploppen auf und sind schnell wieder vergessen. Selbst die Menschen im Ahrtal werden medial kaum mehr beachtet, obwohl sie noch Jahre mit den Folgen der Flut konfrontiert sein werden. Mindestens 15.000 Menschen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO 2022 aufgrund der Hitze in Europa gestorben.
Wir müssen ihre Geschichten erzählen – oder von den Helfenden vor Ort, von der bedrohten Feldlerche ebenso wie von den Koalas, die im australischen Sommer verdursten. Leider hält sich hartnäckig das Gerücht, die Klimakrise sei ein Trend-Thema, das eh schon viel zu häufig in den Medien stattfindet. „Das Thema Klima nahm 2021 und 2022 je nach Sendezeit zwischen 1% und 2,4% des Gesamtprogramms von Das Erste, ZDF und WDR ein. Insgesamt bleibt das Klima gegenüber Themen wie der Corona-Pandemie, aber auch z. B. der Wirtschaft zurück“, heißt es in einer aktuellen Inhaltsanalyse der Media Perspektiven. Medial wird also dem Thema, das über Gedeih und Verderb unserer Lebensgrundlage entscheidet, recht wenig Platz eingeräumt.
Choose your fighter!
Vermutlich scheuen nicht wenige das Thema, weil sie Angst haben, nicht mehr neutral sein zu können, gar aktivistisch zu werden, oder – vielleicht noch schlimmer didaktisch. Da liegen gleich mehrere Missverständnisse vor.
Klimaschutz ist kein Partikular- und parteipolitisches Interesse. Klimaschutz hat Verfassungsrang, wie das Bundesverfassungsgericht 2021 festgestellt hat. Klima-Aktivismus steht dem Status-Quo-Aktivismus gegenüber: Choose your fighter! Und der Vorwurf, didaktisch zu werden, sollte uns vielmehr herausfordern, kreativ und emotional zu erzählen.
Dabei dürfen wir nicht vergessen: Wir als Kreative befinden uns in einer sehr privilegierten Situation. Unsere Geschichten haben das Potential, Herz und Kopf der Menschen zu erreichen. Wie Politik und Wissenschaft tragen wir eine besondere Verantwortung. Und nein, wir müssen dafür keine plumpen Klima-Geschichten schreiben, sondern uns überlegen, was wir erzählen und warum. So wie wir als Menschheit tausende und abertausende Liebesgeschichten schreiben konnten, die immer wieder neu unser Publikum begeistern, so können wir das auch mit dem Klima tun.
Die Reise der Hauptfiguren steht schon immer sinnbildlich für die Transformation. Eine solche Transformation muss auch unsere Gesellschaft hin zu einer lebensfähigen Erde für uns alle durchlaufen. Auf dem Weg dorthin liegen schon individualpsychologisch viele Hindernisse. Stellvertretend greife ich hier nur eine mögliche Verzerrung heraus, den „Single Action Bias“. Das bedeutet: Eine einzige klimafreundliche Handlung genügt, um uns bei unangenehmen Klimagefühlen zu beruhigen. Wir gehen einmal im Monat vegan essen oder verzichten auf eine Flugreise im Jahr? Schon glauben wir, dass wir damit unseren Beitrag bereits erbracht haben. Warum sollten wir dann noch „grüne Geschichten“ erzählen?
Was wäre eine Geschichte ohne klassische Bösewichte? Die fossile Industrie nahm sich die Tabakindustrie zum Vorbild und fütterte als „Merchants of Doubts“, als Händler des Zweifels, die Öffentlichkeit mit Desinformation. Denken wir an DIE UNBESTECHLICHEN oder THE BIG SHORT. Obwohl heute bekannt ist, dass beispielsweise Exxon (heute Exxon Mobile) bereits in den 1970er-Jahren erstaunlich präzise Vorhersagen über die zerstörerischen Auswirkungen der eigenen CO2-Emissionen machte. Und mit „False-Balance“ gingen die Medien dem gehörig auf den Leim. Wenn wir in unseren Geschichten Verantwortung einfordern, dann darf das nicht dazu führen, dass sich die Einzelnen zurücklehnen, wie sie es auch tun, wenn wir Lichtgestalten im Sinne einer klassischen Heldenreise in den Vordergrund stellen. Wir erzählen viel zu selten, welch eine positive Kraft von einer Gruppe von Menschen ausgehen kann.
Wir sollten uns auch besinnen, welche Kraft wir als Kulturschaffende mit unseren Geschichten haben können. Stoffe, die ihr heute im frühen Stadium in euren Köpfen wälzt oder auf dem Tisch liegen habt, werden vielleicht 2026 gedreht, wenn alles gut geht, und laufen dann 2028 im Kino. Daraus folgt die schwerste Frage: Welche Geschichten wollt ihr angesichts dieser Klimakrise in den kommenden Jahren erzählen?
Zeigt den Wandel, den wir brauchen: für Demokratie, für Vielfalt und für eine lebenswerte Zukunft. Lasst die Charaktere in euren Geschichten Hafermilch trinken, mit dem Fahrrad fahren, Solaranlagen aufs Dach bauen und sich in der Kommunalpolitik engagieren. Recherchiert, spinnt die großen Fabeln und die kleinen Sidekicks. Damit unsere Geschichten zur Rettung der Welt beitragen.